Das Geheimnis der Rollinger Glocken…gelüftet.

René Klein – Brochür vun der Musek 1992

Als einige Rollinger (A. Siegfried, L. Roth, G. Koch und A. Schikkes) 1984 in den Kirchturm stie­gen, um sich die Glocken anzusehen, mußten sie vorerst zentime­terdicken Taubenkot wegräumen. Nach dieser Bescherung folgte dann die Überraschung. Die In­schriften auf beiden Glocken waren befremdend.

 

Große Glocke:

Je me nomme St-Antoine

Bénite par Mr Pastoret Alois Théodore

curé doyen à Koerich

Mr Rinck Théodore

desservant la paroisse de Madelaine

Mr Pe Kirpach étant bourgmestre de la Commune de Pétange

1862

Fonderie N. Jaclard de Metz

Parrain et Marraine

 

Kleine Glocke:

Je me nomme St-Donat

Bénite par Mr Pastoret Alois Théodore

curé doyen à Koerich

Mr Rinck Theodore desservant la paroisse

Mr Fr Thill étant èchevin de la commune de Pétange

1862

Fonderie N. Jaclard de Metz

Parrain et Marraine

 

Wenn auch Bürgermeister Kirpach und Schöffe Thill zu Rollingen passen, so doch nicht Dechant Pastoret und Pfarrer Rinck. Theodor Rinck war nämlich von 1846 bis 1865 Pfarrer in Hagen (Gemeinde Steinfort) gewesen. Und zu Dekanat Körich hat Rollingen nie gehört. Schließlich fragte sich Arnold Schickes, ob die Glocken nicht ein guter Gelegenheitskauf gewesen wären?

…/…

Ein erstes Indiz, die Herkunft der Rollinger Glocken her­auszufinden, stellt der Name des Pfarrers Rinck dar: er war, wie gesagt Seelsorger der Pfarrei Hagen.

Ein zweiter Indiz liefern die Namen der Glocken: St-Antoine und St-Donatus. Beide Heiligen waren in der Tat Haupt-und Nebenpatron der Pfarrei Hagen. Nachforschungen im Luxemburger Nationalarchiv er­laubten es das Geheimnis der Rollinger Glocken größ­tenteils zu lüften.

Am 6. April 1863 verkaufte der Steinforter Bürgermeister Diderrich, wohnhaft in Hagen, der Gemeinde Petingen, vertreten durch ihren Bürgermeister Kirpach und ihren Schöffen Thill, zwei Glocken für die Kirche von Rollin­gen. Als Preis sollten 4,60 Franken pro Kilogramm bezahlt werden. Der Verkäufer übernahm ein Jahr Ga­rantie und wollte für die alte Glocke 2 Franken pro Kilogramm verrechnen. Die Gesamtsumme wäre nach sechs Jahren zahlbar beginnend mit dem 6. Oktober 1863. Als Zinsen sollten 5% ab diesem Datum in An­schlag gebracht werden.

Dieses Schriftstück belegt ganz klar die Herkunft der Rollinger Glocken. Ursprünglich für die Pfarrei Hagen gegossen, wurden sie dann an Rollingen verkauft!

Der Verkaufsakt ging den normalen Amtsweg und landete beim Distriktskommissar. Dieser fand dann auch ein Haar in der Suppe. Am 18. April 1863 schrieb er an den Petinger Bürgermeister, daß er gegen den Ankauf der Glocken wäre. Die Transaktion sollte ruhig verschoben werden, da die Rollinger Sektionskasse leer wäre. Des weiteren wäre der Preis für die neuen Glocken zu hoch und für die alte zu niedrig.

Dieser Brief bedarf einiger Erläuterungen. Damals führ­te jede Sektion der Gemeinde Petingen eine eigene Kas­se, welche von den Einnahmen dieser Sektion gespeist wurde. Heute besteht nur noch eine einzige Gemeinde­kasse. Vergleicht man nun die Preise mit denjenigen der Rodinger Glocken, welche 1869 angeschafft wurden, so fallt der Vergleich zu Ungunsten der Rollinger aus. In der tat bezahlten die Rodinger nur 4,15 Franken pro Kilogramm für die neuen Glocken und erhielten 2,20 Franken pro Kilogramm für die alte zurück. Mögen auch die Rollinger Glocken teurer gewesen sein, so muß man doch feststellen, daß sie heute noch voll einsatzfähig sind, während die Rodinger Glocken, durch Risse unbrauchbar geworden, 1991 ersetzt werden mussten.

Auch wenn der Distriktskommissar im Prinzip mit seinen Behauptungen Recht hatte, so war es nicht seine Aufgabe, den Petinger Gemeindevätern eine Absage zu erteilen. Diese beschwerten sich dann prompt beim Generaldirektor des Innern (heute sagt man Innenmi­nister). Am 8. Mai 1863 sprach der Generaldirektor dem Distriktskommissar seinen Tadel aus betreffend die Übertretung seiner Amtsbefugnisse.

Bereits am 28. April 1863 war der Petinger Gemeinderat zusammen getreten und hatte einstimmig folgenden Entschluß gefaßt: Der Verkauf des Rollinger Gemeindewaltes (10 ha) sollte u.a. den Glockenkauf finanzieren. Die Gemeinde besaß schon ein Angebot vom Petinger Alphonse Nothomb, welcher 1800 Fr/ha zahlen wollte.

Das Argument des Distriktkommissar, man sollte noch einige Jahre warten, wurde mit der eher düsteren Prog­nose beantwortet, daß die Rollinger Sektionskasse in den kommenden Jahen nicht zahlungsfähiger wäre. Au­ßerdem wären alle Rollinger Einwohner mit dem Ver­kauf einverstanden, da dies ihnen am wenigsten zu Lasten fiele.

Dieser Beschluß hat dem Distrikskommissar wohl kaum gefallen. Doch nach dem erhaltenen Tadel des General­direktors bequemte er sich das ganze Dossier an seinen Vorgesetzten weiterzuleiten, welcher am 27. Mai 1863 seine Genehmigung erteilte.

In der Gemeinderatssitzung vom 16. Juni 1863 bekam dann A. Nothomb den Zuschlag zum Preise von 1800 Fr/ha. Der Wald genannt Rollingerbusch maß 10 Hektar 74 Ar und 10 Zentiar. Das so eingebrachte Geld sollte zur Anschaffung zweier Glocken, zur Möblierung der Kirche und Anfertigung eines neuen Bodenbelages sowie zur Vergrößerung des Friedhofes und zum Bau einer Friedhofsmauer verwendet werden. Diese ganzen Ausgaben wurden auf mindestens 5000 Franken ge­schätzt. Der Gemeinderat bat daher die Obrigkeit um die Verkaufserlaubnis.

Die Rollinger bekamen also ihre neuen Glocken. Wann diese eingesegnet und im Turm aufgehängt wurden, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. Es muß aber, laut Abmachung mit dem Zimmermann, nach dem 22. Juli 1863 gewesen sein.

 

Am 11. Mai 1864 erfolgte die offizielle Abrechnung der Kosten.

- Preis der neuen Glocken :                                             561,00 x 4,60 =   2.580,60 F

-  Rückzahlung für die alte Glocke:                                 148,50 x 2,00 =      297,00 F

- Gesamtbetrag:                                                                                                2.283,60 F

 

Aufziehen der Glocken und Arbeiten am Glockenstuhl durch

den Zimmermann Pierre Noël aus Differdingen, laut Abmachung

vom 22. Juli 1863:                                                                                               130,00 F

Schmiedearbeiten für das Aufziehen, geleistet von Christophe Lucas,

Hufschmied aus Rollingen:                                                                                 140,74 F

 

Im Juni 1864 hieß dann der Generaldirektor des Innern die Abrechnung gut. Damit war für ihn die ganze Ange­legenheit geregelt.

 

Für uns aber bleiben noch zwei Fragen offen: Warum wollten die Rollinger sich neue Glocken anschaffen? Warum kauften sie die Glocken der Pfarrei Hagen?

Die Antwort auf die erste Frage erhalten wir aus dem Bericht der Gemeinderatssitzung vom 16. Dezember 1862

Darin geht Rede daß die einzige Glocke im Rol­linger Kirchturm kürzlich einen Riß zeigte und somit ihren Dienst nicht mehr verrichten konnte. Es mußten daher zwei (!) neue Glocken angeschafft werden. Da noch Arbeiten an der Kirche, am Friedhof und am Pfarrhaus zu erledigen wären, erbat man die Erlaubnis 1862 und 1863 Holz im Gemeindewald schlagen zu las­sen. Damit sollte das Defizit in der Sektionskasse begli­chen werden.

 

Rätselhaft blieb, warum die Hagener ihre neu gegossenen Glocken verkauften? Und wieder ließen sich Indizie im Nationalarchiv finden.

Am 29. Oktober 1862 hatte Bürgermeister Diderrich mit der Glockengießerei J. Goussel Jeune aus Metz einen Vertrag abgeschlossen für zwei Glocken (Gesamtge­wicht 500 kg) zum Preise von 3.75 F/kg. Diesen Vertrag aber ließ er erst am 21. August 1863 vom Steinforter Gemeinderat gutheißen. Erinnern wir daran, daß der Vertrag mit der Gemeinde Petingen am 27. Mai jenes Jahres vom Generaldirektor des Innern genehmigt wur­de. Die neuen Glocken waren für die vergrößerte und restaurierte Pfarrkirche von Hagen bestimmt.

Es scheint jetzt alles klar zu sein. Die Gemeinde Stein­fort hatte bei der Gießerei Jaclard aus Metz zwei Glocken zu teurem Preis bestellt, fand dann aber eine billigere Firma. Der erste Vertrag konnte schwer rück­gängig gemacht werden, da die Glocken bereits gegossen waren. Ein Abkäufer für die teuren Produkte mußte ge­funden werden. Und da bot sich die Gemeinde Petingen an, da zufällig die alte Rollinger Glocke unbrauchbar geworden war.

Welche zwischenmenschliche Beziehun­gen oder verwandtschaftliche Bande da im Spiele waren, kann aus den offiziellen Akten nicht erschlossen wer­den! Jetzt versteht man auch, warum in der Petinger Gemeinderatssitzung vom 16. Dezember 1862 Rede von zwei neuen Glocken geht. Die Steinforter mußten näm­lich ihre beiden teuren Produkte los werden! Die offizielle Abrechnung der neuen, billigeren Hagener Glocken der Firma Goussel Jeune erfolgte übrigens am 8. Juni 1863.

 

Damit wäre das Wesentlichste über den kuriosen Ankauf der Rollinger Glocken gesagt. Mögen sie auch weiterhin ihren Dienst zum Wohle der Ortschaft getreulich erfül­len!

 

QUELLEN

1. A Schickes. Geheimnis um.. .dieRollinger Glocken, Festbro­schüre «125 Joer Poar, 50 Jo'èr Kiirchgesank Rollèng 1985», Seite: 135-137.

 Ons Hémecht 1924, Seite 387

 Arch. Nat. Lux. H1024/237.

 J. Collette: Trois clochespour l ’église néo-gothique de Rodange en 1869, Festbroschüre «Les nouvelles cloches de Rodange 1991», page 7.

 Deliberationsregister der Gemeinde Petingen

 Arch. Nat. Lux. H1024/275b.