Was bedeutet der Name Titelberg?

Nur ein weiterer Erklärungsversuch

René Klein

 

Einer der bedeutendsten archäologischen Fundorte Luxemburgs ist der Titelberg in der Gemarkung von Rollingen (Lamadelaine). Das keltische Oppidum sowie der gallo-römische Vicus erhoben sich etwa 130 Meter über dem Spiegel der Korn (Chiers) und umfassten ein Areal von über 50 ha. Die Bibliographie über den Titelberg ist sehr umfangreich, und jährlich kommen neue Veröffentlichungen hinzu. Doch noch immer sind sich die Forscher nicht über die Etymologie des Namens einig. In letzter Zeit wird überhaupt kein Versuch mehr gewagt, den Namen zu deuten.

Der Name Titelberg besteht aus zwei Teilen. Die letzte Silbe ist zweifelsfrei germanischen Ursprungs und bezeichnet die Anhöhe (400 m). Im Güter­verzeichnis der Rollinger Kapelle von 1668 wird der Titelberg ganz einfach als la montagne bezeichnet. Wenn im Urkataster von 1824 nur mehr der Flur­name auf dem Titelberg verzeichnet ist, so enthalten die Akten des 17. und 18. Jahrhunderts noch weitere Flurbezeichnungen auf der Anhöhe: um Domm, bei der Lann, a Walleflaass und an der Kräidkoll. Aber auch bei den Landwirten waren noch andere Ortsbezeichnungen auf dem Titelberg im Gebrauch: bei der viischter Poart (die alte Pforte im Wall auf Rollinger Seite), bei der hënneschter Poart (die alte Pforte des Walls auf Niederkomer Seite), den Husar (Feld hinter der vorderen Pforte, welches über den Weg hinweg gepflügt wurde). Die Oberfläche des Titelbergs wurde als Ackerland genutzt. Zur Zeit der Dreifelderwirtschaft bildete sie die Berggewann (saison d’en haut) gegen­über der Grundgewann (saison du gronde) und der untersten Gewann (saison d’en bas). Heute noch wird der Titelberg teilweise landwirtschaftlich genutzt.

Was nun den ersten Teil des Namens, nämlich Titel- lux. Tëtël-, anbelangt, so gehen die Meinungen weit auseinander. Joseph COLLETTE hat in seinem Artikel Histoires, Traditions, Contes et Fantaisies du Titelberg die verschie­denen Deutungsversuche ausführlich beschrieben. Laut Volksmeinung wäre Titel- vom römischen Feldherrn und Kaiser Titus herzuleiten. Diese Auffass­ung hat sich leider bis heute teilweise erhalten. Der 1948 gegründete Rollinger Fußballverein gab sich noch den Namen FC Titus Lamadelaine. Ob die von Nicolas GÖNNER überlieferte Sage wirklich in den Köpfen der einfachen Leute herangereift war, wage ich zu bezweifeln. Denn wer von denen kannte schon den römischen Kaiser Titus? Dagegen passen weiße Jungfrauen, flie­gende Hexen und Drachen sowie Schatzsucher besser in das Bild der Schauer­märchen, die man sich während der langen Winterabenden erzählte. Pflegt doch der Titelberg bei nassem und trübem Wetter im Nebel zu verschwinden.

Die Gelehrten hatten sich auf den gallischen Gegenkaiser Tetricus (271-273) eingeschworen, da auf dem Titelberg viele Münzen mit seinem Bild gefunden worden waren. Dabei ging man von der irrigen Meinung aus, der Titelberg sei ein römisches Lager gewesen. Ihnen hatte schon Alexander WILTHEIM widersprochen, doch konnte er sich mit seiner Meinung nicht durchsetzen. Man kann sich allerdings schlecht vorstellen, wie man von Tetricus auf Titel ­kommt.

Als dann der keltische Ursprung der Siedlung entdeckt wurde, kamen die ver­schiedensten Deutungen auf wie Hüttenberg, Sonnenberg, Volksberg oder Quellenberg. Der luxemburgische Dichter und Musiker DICKS glaubte in Titel- den germanischen Kriegsgott Tyr wieder zu erkennen.

Will man den Sinn von Titel- ergründen, so muss man sich fragen, wie die Ansiedlung auf dem Berg wohl geheißen haben könnte. Man kann davon aus­gehen, dass sie einen keltischen Namen getragen hat in dem irgendwie die Bezeichnung Titel-/Titil- vorkam.

Unter den 858 -(i)acum-Namen der römischen Provinz Belgica Prima, welche Monika BUCHMÜLLER-PFAFF untersucht hat, kommt auch ein nicht iden­tifizierbares Titiliacum vor. Zu Beginn des 7. Jahrhunderts wurden in einer vom Bischof von Toul ausgestellten Urkunde die Orte Videliacum, Buchuliacum, Ardinio sive Titiliacum und Brueriacum genannt. Auch wenn keine Einigkeit bei den Forschem besteht, ob das sive nicht ein atque sein müsste, besteht kein Zweifel, dass alle Orte in der Nachbarschaft von Toul lie­gen und dieses Titiliacum nicht mit unserem Titelberg gleich zu setzen ist.

Und doch könnte diese Bezeichnung Titiliacum der gesuchte Name des Oppidums/Vicus auf dem Titelberg sein, gab es doch ebenfalls viele Ansiedlun­gen mit dem Naman Biliacum. Dabei entspräche das luxemburgische Tëtël- der alten Form Titil-. Die Forschung hat erarbeitet, dass das -(i)acum dem ger­manischen -ingen entspricht. In überwiegender Mehrzahl wurde das -(i)acum mit einem Personennamen gekoppelt. War dieser Name gallischen oder römi­schen Ursprungs, so ist die Gründung der Siedlung in die gallo-römische Zeit zu verlegen. Dabei scheint die Gründung an das römische Fundus-System geknüpft: das vom Staat einem römischen Bürger übertragene Land diente als Zentmm der Gründung. Im Falle von Titiliacum war Titilius die Gründer­person.

Demnach hatte ein gewisser Titilius (ob er etwa aus der Gens Antonina von Niederkom stammte?) vom römischen Staat das Land rundum den Titelberg geschenkt bekommen und hatte die Siedlung Titiliacum gegründet. Auf den ersten Blick stellt dies unser Wissen über den Titelberg auf den Kopf: die Ansiedlung war eindeutig keltischen Ursprungs. Andererseits muss Titiliacum die letzte Siedlung gewesen sein, da ihr Name, zwar verstümmelt, bis auf uns gekommen ist.

Nun haben die Ausgrabungen auf dem Titelberg eindeutig einen Bruch in der Besiedlung aufgedeckt. Durch die Germaneneinfälle von 275 wurde der blü­hende römische Vicus der frühen Kaiserzeit zerstört. Doch wurden Beweise gefunden, dass zumindest ein Teil der alten Siedlung wieder bevölkert wurde. Der Vicus der späten Kaiserzeit konnte den Glanz von früher nicht mehr errei­chen. Im 5. Jahrhundert fiel er dem Ansturm der Germanen zum Opfer. Diese von der Forschung erarbeiteten Daten passen ganz gut zur oben formulierten Gründung von Titiliacum.

Im 5. Jahrhundert zerstörte dann die Sippe des Rodilo den Vicus Titiliacum und verleibte die Wüstung ihrem Territorium (dem heutigen Rollingen, Lamadelaine) ein. Der Titelberg ist bis heute die Grenze zwischen Rollingen und Niederkom geblieben. Vom Titiliacumberg ist es sprachlich gesehen nicht mehr weit bis zum Tëtëlbierg.

Titiliacum hat wohl den Namen Titelberg ergeben, doch wie hießen das kelti­sche Oppidum und der Vicus der frühen Kaiserzeit mit ihren eigentlichen Namen?

Leider sind in Luxemburg nur sehr wenige Orte aus keltischer und gallo-römischer Zeit durch zeitgemäße Schriftzeugnisse belegt. Dies ist anscheinend auch der Fall für die Ansiedlung auf dem Titelberg. Und doch wurde Anfang der 1930er Jahre ein 90 cm hoher Votivstein in Form eines Altars ausgegraben. Eine erste Beschreibung erfolgte durch Paul MEDINGER. Die Inschrift GENIO VOSVGONVM SABINVS SERV. P deutete er dahin, dass ein gewisser Sabinus dem Schutzgeist der Vosugoner diesen Altar weihte und dass sein Sklave den Stein setzte. Er datierte den Fund ins 2. Jahrhundert nach Christi. Josy MEYERS sträubte sich gegen diese Deutung der Inschrift. Das SERV(VS) = Sklave, Diener beziehe sich auf Sabinus selbst. Das SERV P könnte auch SERV VS PVBLICVS = Amtsdiener, städtischer Sklave bedeuten. Gérard THILL hat sich dieser Auffassung angeschlossen und den servus publicus mit Gemeindediener übersetzt. Doch darf man sich fragen, ob die Abkürzung nicht als servus posuit (der Diener hat errichtet) zu lesen ist. Diener wäre hier als Anhänger der Gottheit zu verstehen.

Uns interessiert in diesem Aufsatz weniger die Person des Sabinus als die Bezeichnung VOSVGONVM, das Genitiv von VOSVGONES. Wer waren diese Vosugones? Dies hatte sich bereits Josy MEYERS gefragt. In seiner Analyse kaum er zu folgendem Schluss: „Grundsätzlich wäre keine Schwierigkeit, unsere Inschrift nach den Beispielen, die eben aufgeführt wurden, durch den Begriff der civitas zu ergänzen:  Genio (civitatis)

Vosugonum. ,*Vosugones’ wäre der Name für die Bewohner einer gallischen (römischen) civitas oder Völkerschaft in der Gegend etwa des heutigen Titelberg.

Wir möchten annehmen, dass ,*Vosugones’ nicht einen bloßen geographischen Begriff, dagegen den Namen von Bewohnern eines bestimm­ten geographischen Raums darstellte; von welcher Bedeutung dieser Raum und annähernd die Zahl seiner Bewohner waren, bleibt dahingestellt. Ebenso, in welcher Form der Gemeinschaft die Bewohner.”

Nun wissen wir aber, dass der Titelberg zum Gebiet der civitas Treverorum gehörte. Aber was hindert uns daran, civitas durch vicus zu ersetzen? Dann wären die Vosugones die Bewohner der Ansiedlung auf dem Titelberg gewe­sen, welche von den Archäologen als gallo-römischer Vicus der frühen Kaiser­zeit bezeichnet wird. Vicus Vosugonum wäre der Name der Titelberg Siedlung nach der Eroberung Galliens durch Caesar bis zu ihrer Zerstörung im Jahre 275 durch die Germanen gewesen.

Was könnte Vosugones bedeuten? MEYERS sah das Vosug- in Zusammenhang mit Vosegus (Vogesen), der Stadt Vosgium (auf der Peutinger Karte in der Gegend von Lyon), dem Vosagensis pagus (jetzt Vasois, Dép. Indre) und den Vascones (Basken). Er glaubte Vase-, Voseg-, Vosag-, Vosug- als Berg, Gebirge zu deuten. Vascones könnte demnach mit Bergbewohner übersetzt werden. Pierre-Yves LAMBERT bemerkt, dass -ones in verschiedenen Namen von kel­tischen Völkerschaften vorkommt so z.B. in Pictones, Lingones, Suessiones, Senones, Eburones, wobei am Anfang ein Verbum oder ein Substantivum ste­hen konnte. Vosugones ordnet sich in diese Kategorie ein. Dabei hat Vosug - grosse Ähnlichkeit mit dem Gott Vosegus. Vosugus dürfte nur eine sprachliche Lokalvariante gewesen sein. Demnach könnte man die Vosugones als Anhäng­er des Gottes Vosug(us) deuten.

Der keltische Name des Oppidums dürfte die keltische Bezeichnung dunum (keltisch für Festung, Oppidum) enthalten und dann etwa so gelautet haben: Vosugonodunum (Festung der Anhänger des Gottes Vosug/us) oder Vo- sugdunum (Festung des Gottes Vosug/us).

Diese Interpretation gewinnt um so mehr an Wahrscheinlichkeit, da erst kürz­lich ein breiter und tiefer Graben auf der Ostseite des Titelbergs entdeckt wurde, welcher ein etwa 10 ha grosses Areal begrenzte. Auf ihm standen keine Wohnhäuser und es diente offensichtlich als öffentlicher Platz, um Gericht abzuhalten und politische Entscheidungen zu treffen. Im Innern der Begrenzung befand sich ein Gebäude, das einem gallo-römischen Fanum ähnelt und das auf keltischen Fundamenten ruht. Die Ausgrabungen sind zur Zeit im Gange.

 

Zum Abschluss schlage ich für die archäologisch gesicherten Epochen der Titelbergsiedlung folgende Bezeichnungen vor:

Keltisches Oppidum:                                         Vosugonodunum oder Vosugdunum

Römischer Vicus der frühen Kaiserzeit:         vicus Vosugonum

Römischer Vicus der späten Kaiserzeit:         Titiliacum

 


Im unten abgebildeten Heimatjahrbuch Cochem-Zell 2021 erschien kürzlich ein Artikel von Hans W. Herdes : Hatte der Martberg ein Gegenstück? 

 

In diesem Artikel philosophiert Hans darüber ob es in der römisch-keltischen Zeit eine Verbindung zwischen unserem Titelberg und dem Martberg in Deutschland gab. Bei den Recherchen halfen ihm desweiteren Kummer Guy, der Geschichtsfreunde Gemeinde Petingen und ich Arend Claude.

 

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Hatte der Martberg ein Gegenstück?
Beitrag Titelberg-Martberg im Heimatjahr
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